Remote? Präsenz? Hybrid? Wie arbeiten wir weiter?

Remote ist beides: entzaubert und entdeckt. Entzaubert, weil aktuell mehr Mitabeiter*innen die Entgrenzung von Arbeit, die Einsamkeit, die Ablenkung durch häusliche Herausforderungen, die Schwierigkeiten der Kommunikation und Entscheidungsfindung, die Technikquerelen etc. erfahren, durchlitten und immer öfter gemeistert haben. Entdeckt, weil konzentriert arbeiten für manche zuhause einfacher war; weil remote trotzdem bedeuten konnte, gemeinsam etwas zu schaffen; weil digitalisierte Kommunikationsformen zur neuen Gewohnheit wurden; weil sowohl Führung als auch Geführtwerden neu erlebt und gestaltet wurde. Und auch weil für sehr viele die Erfahrung von Krise und Gewöhnung an diesen Modus das gesamte Feld von Führung und Selbstorganisation bespielt hat. Das beständige Abwägen von:

  • braucht es hier klare Ansage, schnelle Entscheidung und Umsetzung von „oben“?
  • Ist das etwas, das bitte nach gesundem Menschenverstand jetzt erstmal jede*r für sich regelt?
  • Sind das die Strukturen, die wir noch brauchen? Brauchen wir andere? Wenn ja, welche? Und wer entscheidet mit wem wie darüber?

 Diese Fragen ließen sich sicher noch erweitern.

Der Vor-Corona-Alltag der meisten hieß: Arbeit ist Präsenz in der Organisation. Nun haben wir kollektiv erfahren, was fehlt, wenn Präsenz nicht möglich ist. Wir schätzen (oder überhöhen) die Rituale und Möglichkeiten im Büro, die vorher selbstverständlich waren. Und merken auch, was nicht fehlt: bestimmte Besprechungen, Ablenkungen, Fahrzeiten, ja, auch manche Kolleg*innen.

Wir vermuten, dass viele von denen, die vorher dachten: „Wer zuhause arbeitet, tut nix!“, davon geheilt sind. Und diejenigen, die viel remote gearbeitet haben, erkennen vielleicht, wie nützlich die gemeinsame Basis, eine Ver-Ortung ist.

Noch gibt es kein neues Normal, wir stecken in einer Übergangsphase. Viele kehren zurück ins Büro. Dort treffen wir auf neue Regeln, die noch nicht wirklich verhandelt wurden und noch nicht gelebt werden. Und es schwelen die alten Regeln, die so nicht mehr lebbar sind, und dennoch als Gewohnheiten hier und da wieder Einzug halten. Das Aushandeln neuer und alter Regeln geschieht mal bewusst, oft nebenbei.

Ein Ansatz, wie die Erfahrungen aus der remote-Zeit nun in eine neue Arbeitsorganisation eingebettet werden können, scheint darin zu liegen, dass mehr Menschen hybrid arbeiten: mal remote, mal präsent.

Bevor diese Idee Wirklichkeit werden kann, bedarf es – aus unserer Sicht – noch einiger Überlegungen und Entscheidungen. In einem Austausch von Berater*innen und Vertreter*innen aus Unternehmen unseres Netzwerkes, sind wir auf folgende Fragen, die vermutlich erweiterbar sind gestoßen.

Thema: Führung

  • Wie verändert sich die Rolle von Führung, wenn Arbeitsstrukturen für hybrides Arbeiten geschaffen sind?
  • Ist Präsenz dann als eine Basis definiert oder gleichwertig mit remote?
  • Wie kann Führung auch hybrid gelebt werden?
  • Wann und wie sollte Führung schwerpunktmäßig in Präsenz gelebt werden, um das Zusammenspiel von remote und Präsenz zu begleiten?

Thema: Gerechtigkeit

  • Wie wollen wir damit umgehen, dass in den Köpfen „Präsentismus“ nach wie vor verbreitet ist?
  • Gibt es eine – wenn auch unsichtbare – Hierarchie zwischen Menschen im Home-Office und im Office-Office (Karriere macht nur, wer sichtbar ist?)?
  • Wie kann beim Wechsel von präsent und remote Chancengleichheit für Frauen gesichert werden, wenn sich in der aktuellen Krise abzeichnete, dass Frauen wieder (noch!) mehr Verantwortung für Kinder und Haushalt übernehmen?

Thema Gesundheit

  • Ist hybrides Arbeiten für alle geleichermaßen gesund?
  • Bleibt die Möglichkeit, die Arbeit vollständig in der Organisation zu erledigen, erhalten, für das vermutete Drittel, welche diese Variante für sich präferiert? Wie wird verhindert, dass es ein belastendes Stigma wird, nicht hybrid zu arbeiten?
  • Wie gelingt es, die Phase des Ausprobierens über die Extremsituation des Lockdown hinaus zu verlängern, um auszutesten, wie die unterschiedlichen Varianten sich langfristig auswirken?

Aus unserer Sicht hat die Auseinandersetzung mit diesen Fragen eine hohe Bedeutung, um Vertrauen, gesunde Führungsarbeit und Innovationsfähigkeit in den Organisationen zu sichern.

Das Tool

In vielen Organisationen stehen aktuell Teams vor der Frage: Wie werden wir jetzt zügig arbeitsfähig nach dem, wie es früher war, nach dem, wie es im Lockdown war und vor dem „neuen Normal“.

Wir haben ein Tool entwickelt, dass Teams darin unterstützt, diese Übergänge gemeinsam zu gestalten.

Unsere Diskussion legt als Grundlage die Schleife von:

Wenn Arbeitsorganisation so re-organisiert werden soll, dass möglichst viele Mitarbeitende damit zufrieden sind und sie möglichst produktiv sind, dann ist dies ein Aushandlungsprozess, der alle integriert. Wir schlagen folgende Schritte vor:

  1. Sortierung der Arbeitsinhalte des Teams in einer Systematik, die wir im Folgenden vorstellen.
  2. Individuelle Positionierung und Reflexion der Mitarbeitenden, welche Präferenzen sie haben, was sie brauchen, um gut arbeiten zu können und gesund zu bleiben (wer dazu mehr wissen will, auch dazu haben wir etwas entwickelt, meldet euch!)
  3. Rahmen definieren: was muss/möchte jenseits der Arbeitsinhalte durch das Team gewährleistet werden (Erreichbarkeiten, Soziales Miteinander, Kontakte außerhalb des Teams)
  4. Verbindung der Ergebnisse von 1, 2 & 3 und Aushandlung. Daraus entstehen eventuell neue Arbeitsverteilungen. Und Organisations- und Mitarbeitenden-gerechte hybride Arbeitsstrukturen.

1.      Das Hybride-Arbeit-Canvas

Ein Bild, das Text, Karte enthält. Automatisch generierte Beschreibung

Das hier gezeigte Canvasboard ist ein online-collaboration-template, kann aber natürlich auch offline an einer Stellwand gestaltet werden.

Und nun im Detail

Es gibt zwei Varianten die Arbeit am Board zu beginnen:

A: alle überlegen gemeinsam, was das Team eigentlich konkret tut, die Farbe der Post-it tut nichts zur Sache.  (Diese Variante macht Sinn, wenn sowieso auch darüber nachgedacht werden soll, ob die Verteilung so wie bisher noch passt oder wenn es gesünder für die Teamstimmung ist, wenn erstmal menschenunabhängig auf Arbeit geguckt wird)

B: jede*r wählt eine Post-it Farbe und schreibt auf diese, alle Arbeiten, die sie/er erledigt. (Diese Variante macht Sinn, wenn die Aufgaben personengebunden bleiben und oder es gesund für das Team ist, wenn mal jede*r sieht, was die anderen eigentlich noch so alles tun)

Und dann geht es von links nach rechts.

Die Mitarbeitenden füllen (online geht das auch asynchron) Spalte 1:

Ein Bild, das Zeichnung enthält. Automatisch generierte Beschreibung

Dann sortieren sie die Aufgaben nach individuellen Arbeiten und kollaborativen Tätigkeiten:

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Und sortieren diese wiederum in remote und präsenz. Spätestens ab hier sollte der Prozess synchron und in Diskussion geschehen, denn die Erfahrungen könnten hier divergieren.

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Die kollaborativen Tätigkeiten brauchen eine weitere Sortierung:  Die Sortierung nach Zeit. Muss daran zeitgleich gearbeitet werden oder geht es auch zeitversetzt? Und hier haben wir in grün noch dazugefügt: mit welchen Tools stellen wir diese Kollaborationen sicher, denn die meisten Organisationen haben in den letzten Wochen neue Erfahrungen mit Teams, Slack, Trello & Co gemacht und hier könnte der Moment sein, diese Erfahrungen zu reflektieren.

Ein Bild, das Text, Karte enthält. Automatisch generierte Beschreibung

Auch diejenigen, die allein remote arbeiten, arbeiten in der Regel in/mit Tools, die könnten hier auch noch Erwähnung finden:

Auf Grundlage dieser Sortierung kann nun die Struktur der zukünftigen Arbeitsorganisation betrachtet werden.

Aus organisationaler Sicht:

Wie viel Präsenz braucht dieses Team, wie viel Büro und Besprechungsraum brauchen wir wohl, um Abstandsregeln etc. einhalten zu können? Wie viele Tage arbeitet wer remote? Welche Tage/zeiten eignen sich für Präsenz-Meetings, Präsenz-Veranstaltungen etc.? Was bedeutet das für Organisation, Führung, Mitarbeiter*innenvertretung, Diversity?

Aus individueller Sicht kommt eine weitere Ebene dazu.

Alle haben in der remote Phase unterschiedliche Erfahrungen gemacht, manche fanden alleine zuhause arbeiten für sich ungeeignet, andere genossen die Zeit vielleicht, wieder andere hätten Strukturen gebraucht, die es nur im Büro gibt oder sich nun Strukturen geschaffen, die im Büro nicht mehr gehen, ihnen aber nützlich sind. Und so sollten – bevor die neuen hybriden Zeiten verhandelt werden – die individuellen sozialen und arbeitsorganisatorischen Bedürfnisse einbezogen werden.

2.      Individuelle Bedürfnisse

Dafür haben wir ein Fragen-Canvas entwickelt, das es den Mitarbeitenden ermöglicht, ihre Erkenntnisse der letzten Wochen zu reflektieren, zu sortieren und daraus erwünschte Arbeitsstrukturen abzuleiten. Bei Interesse gerne melden!

3.      Rahmen

Natürlich spielt auch die Gesamtorganisation eine große Rolle. Der Rahmen könnte zum Beispiel vorsehen, dass es sinnvoll ist, wenn an bestimmten Tagen bestimmte Menschen verlässlich im Büro arbeiten oder verlässlich zu bestimmten Zeiten erreichbar sind oder oder oder.

Sobald 1, 2 & 3 sortiert und diskutiert sind, ergibt sich ein Gesamtbild, aus dem die individuellen hybriden Strukturen entwickelt werden können.

Wir freuen uns über Rückmeldungen und stehen auch gerne zur Verfügung, wenn jemand für diesen Prozess externe Moderation möchte.

Seit mehr als 10 Jahren, nehmen wir uns (mindestens) zweimal im Jahr einen Tag Zeit, um mit Kolleginnen und Freundinnen über aktuelle Fragen, Themen, Anliegen und Methoden zu sprechen, diese auszuprobieren oder einfach nur gemeinsam nachzudenken. Das haben wir auch am 02.06.2020 gemacht. Mit dabei waren Berater*innen aus Düsseldorf, Hamburg und Hannover; eine interne Beraterin aus der IT-Branche, ein Personalrat und eine Managerin aus einem Industriebetrieb. Allen gemein war, dass wir dieses Mal (wie viele in den letzten Monaten und vermutlich auch in Zukunft) das ganze „remote“ gemacht haben. Wir saßen also in unseren örtlichen Büros, Homeoffices oder am Küchentisch und haben online gemeinsam und in wechselnden Gruppen gearbeitet.

Wir nennen dieses Format des Netzwerks und Instituts Gesunde Karriere: Unter uns

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Vanessa Krüger

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Simone Schneuwly

    Sehr spannend! Gibt es bereits Best Practices (insbesondere zum Punkt 3 – Rahmen)?
    Ich bin bei der Mobiliar verantwortlich für den Bereich Learning & Development und wir setzen uns aktuell genau mit diesen Themen auseinander

    1. Vanessa Krüger

      Liebe Frau Schneuwly, danke für Ihre Frage! Das Erarbeiten des Rahmens ist großer Bestandteil unserer Prozessbegleitungsarbeit mit Führungskräften und Teams. Wir sind überzeugt davon, dass eine gute gemeinsame Erarbeitung des Rahmens das „Danach“ zielführender und leichter erarbeitbar macht. Wir nutzen sowohl Führungs- und Steuergruppen zur Vorbereitung der Rahmensetzung als auch (online) Canvasarbeit mit ganzen Teams oder sogar Großgruppen. Wenn Sie mehr dazu wissen wollen wie wir arbeiten oder Interesse an (online) Begleitung haben, dann melden Sie sich doch gerne bei mir via mail oder phone. Ich freue mich auf den weiteren Austausch.

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